Hallo Daniel Nun geht deine Kitazeit bei uns hier so langsam vorbei, und ich dachte mir, ich möchte dir gerne einen Brief schreiben. Du bist damals im Spätherbst zu uns in die Einrichtung gekommen, kamst aus einem anderen Land, kanntest keine Kita, unsere Sprache und auch unsere Gewohnheiten nicht. Hinzu kommt, dass es dir mit deiner Autismus-Spektrum-Störung nicht so leichtfiel, am Anfang hier anzukommen. Mama und Oma begleiteten dich in dieser Anfangszeit. Du warst die ersten Tage erst einmal nur zum Spielen in der Kita. Du konntest dich in Ruhe mit den Räumlichkeiten, den Materialien zum Spielen, den Kindern und uns vertraut machen. Dir fiel es schwer, Kontakt zu uns aufzunehmen, und du mochtest es auch nicht, wenn Kinder dir zu nahe kamen. Du brauchtest deinen Bereich für dich. Du zeigtest uns mit Lauten, dass es dir nicht gefällt, wenn dich etwas stört. Dir gefiel es nicht, wenn jemand „dein“ Spielzeug nahm. Es war dein Bereich und auch für dich dein Spielzeug. Auch das Essen hier in der Kita fiel dir sehr schwer. Du hattest Schwierigkeiten, mit uns die Mahlzeiten einzunehmen. Es fiel dir schwer, dass man zu dieser Zeit an einem Tisch sitzt, um dort zu essen. Am Anfang waren Mama oder Oma mit dabei und konnten dich dabei unterstützen, dich auf den Schoß nehmen, um dir beim Essen zu helfen. Dann kam Katja als Einzelfallhelferin zur Unterstützung für dich dazu. Die Frühförder- und Beratungsstelle kam wöchentlich, um dir gezielte Förderungen zu ermöglichen.
Anfangs nahmst du über das Beobachten Kontakt auf, schautest dir genau an, was wir machen und wer wir sind. Auch beobachtetest du gern die Kinder in ihrem Spiel. Aber gerne möchte ich jetzt auf das schauen, was du alles gelernt hast, wie stolz wir sind und du auf dich sein kannst. Darüber möchte ich dir gerne kurz berichten.
Morgens bringt dich deine Mama oder Oma in die Kita. Du steigst aus dem Auto aus und rennst fast jeden Morgen zur Tür und die Treppe hoch in die Garderobe. Du kennst deine Sachen und hängst diese selbstständig auf. Ich musste neulich sehr schmunzeln, als du mit Mama gekommen bist und dich ausgezogen hast. Du hast Mama angesehen und zu ihr gesagt: „Tschüss Mama, geh Hause.“ Es ist toll, dich so kommunizieren zu sehen. Dies war am Anfang kaum möglich. Du hast zu verstehen gegeben: „Es ist alles gut, du darfst los, und ich bin hier.“ Du weißt morgens, wenn du kommst, auch genau, was du machen möchtest.
Morgens begrüßen wir uns nun mit einem Handschlag. Ich sage deinen Namen und „Hallo Daniel“ und zeige meine Hand. Du erwiderst, sagst „Guten Morgen“ und schlägst ein. Auch verabschieden wir uns so. Wenn du dies nicht möchtest, zeigst du das. Das ist auch völlig okay.
Du startest gerne ruhiger in den Tag, gern setzt du dich an den Tisch und magst es zu kneten und zu malen. Du weißt, wo du die Materialien dafür findest. Du malst und knetest sehr gern Tiere und benennst alles, was du darstellst.
Schon wieder kommt mir ein Schmunzeln über die Lippen, wenn ich das hier schreibe. Du hast am Anfang kaum gesprochen und wenn, dann gern auf Englisch. Du hast dir einen Spaß daraus gemacht und die Tiere wie Schwein (Pig), Kuh (Cow), Hund (Dog) auf Englisch benannt, obwohl du dann das deutsche Wort kanntest. Du schmunzeltest und wiederholtest es auf Englisch. Nun beherrschst du die deutschen Begriffe der Tiere sicher, aber du liebst es, sie weiterhin auf Englisch zu benennen.
Auch ist es erstaunlich zu sehen, wie gut du in dieser Zeit gelernt hast, mit Stift und Schere umzugehen. Du schreibst einzelne Buchstaben und Zahlen, hältst den Stift richtig und hast viel Ausdauer am Tisch, wenn du dies tust.
Wenn du eine Weile am Tisch warst, brauchst du Bewegung. Du magst es total gerne, in den Garten zu gehen. Auch dort ist es toll zu sehen, was in den zwei Jahren passiert ist. Du fährst selbstständig Fahrzeuge wie Dreirad oder Roller und weißt, wo du sie dir holen kannst. Du kletterst unheimlich gern auf dem Klettergerüst. In letzter Zeit hast du das Trampolin für dich entdeckt, aber am allerliebsten schaukelst du. Zuerst war es nur die Nestschaukel, wo dich Katja oft angeschaukelt hat. Nun liebst du es, selbstständig auf der großen Schaukel zu sein. Dort kannst du auch schon mal bis zu einer Stunde schaukeln.
Du hast sogar einen Freund gefunden. Mit Benno bist du gern draußen unterwegs, teilweise sagst du seinen Namen und hoffst, dass er da ist. Ihr schaukelt unheimlich gern zusammen oder fahrt zusammen Roller.
Teilweise lässt du auch Kontakt von anderen Kindern zu. Wir haben diesen Sommer ab und zu Fangen zusammengespielt. Du magst es, dich von hinten an mich anzuschleichen, mir mit beiden Händen an den Rücken zu drücken und rennst dann los. Ich tue immer so, als ob ich mich erschrecke, drehe mich um und fange dich, und dabei tippe ich dich auch an. So geht das Spiel eine Weile hin und her. Auch konnten wir andere Kinder dazu gewinnen, um mitzuspielen. Da du viel Energie und Ausdauer im Spiel zeigst, müssen wir dir ab und zu zeigen, dass wir eine Pause brauchen. Die Kinder zeigen es dir, indem sie sich auf den Boden setzen und „Pause“ sagen. Du nimmst dies sofort auf und machst es nach.
Es ist Wahnsinn, was du für eine tolle Auffassungsgabe hast, wie du dir alles anschaust oder anhörst, um es dann zu wiederholen. So prägst du dir die Dinge ein, behältst sie und kannst sie abrufen, wenn du sie brauchst. Du bist in deinem Tun und Handeln sehr fokussiert und bleibst bei der Sache. Du liebst es, neue Dinge anzugehen und auch auszuprobieren.
Nun gehen zwei Jahre bei uns zu Ende. Weißt du, Daniel, es waren zwei schöne Jahre. Du gehörst so wie alle Kinder genauso dazu. Für die Kinder war es selbstverständlich, dich mit deiner Persönlichkeit so anzunehmen, wie du bist. Auch wir konnten unser Blickfeld erweitern und sind stolz, wie du deinen Weg bei uns gegangen bist. Wir wünschen dir für die Zukunft, dass du deine Offenheit bewahrst, deine Stärken gefördert werden und du deinen Weg weiter selbstbestimmt gehst.
Als Abschied haben uns die „alten Zahlenfüßler“ ein riesiges Geschenk gemacht. Sie schenkten und die 3 Kubikmeter Sand, welchen sie in all den Jahren bei uns gesammelt ...