Kinderbetreuung denkt das MGH-Team mit, wenn es Termine für Frauen organisiert, um der Zielgruppe überhaupt ein eigenes Erlebnis zu verschaffen. Ein Workshop für Männer käme ohne die „Begleiterscheinung“ aus, da mehrheitlich Frauen die unsichtbaren Planungen und Pflege-Arbeiten (unbezahlt, oft ohne Anerkennung) im Haushalt ausüben, durchschnittlich 9 Stunden pro Woche mehr als Männer, wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat.
Diese Verantwortungslast (mental load) könne im Burn-out enden, warnte schon Renate Schmidt. „Frauen können nicht zu 100 Prozent Berufsfrau, zu 100 Prozent Mutter und zu 100 Prozent Partnerin sein, da sie sonst in kürzester Zeit ein 300-prozentiges Wrack sind“, so die Erfinderin des Elterngeldes.
Muss der Kühlschrank aufgefüllt werden? Was gibt es zum Mittag? Wie beschäftige ich meine Kinder? Darum mussten sich die Teilnehmerinnen beim Bogenbauen im AWO-MGH keine Sorgen machen. Es wurde für alle gekocht, während die Kinder Memory und Jenga spielten oder sich eine Bude bauten.
Unter Anleitung von Sibylla Endres und Martin Hering von der „Baum-und-Bogen“-Werkstatt und "Bogenschießen Berlin" ging es ans Werkeln. „Das alte Wissen vom Bogen ist tief in unserer Genstruktur verankert“, erzählte Gerhard Wiedemann, der Werkstatt-Gründer. Wie archäologische Funde belegen, wurde der Langbogen in der Steinzeit entwickelt. So führte die Gletschermumie Ötzi einen Bogen aus Eibe bei sich. In den peruanischen Anden fanden Forscher in einem Grab einen Schatz an Werkzeugen und Waffen. „Es muss ein wirklich großer Jäger gewesen sein, eine wichtige Person in der Gesellschaft“, schlussfolgerte das Team der University of California. Nähere Untersuchungen offenbarten überraschend: Die Überreste stammen von einer Jägerin. Von einem Wikinger-Grab im südschwedischen Birka, in dem ein menschliches Skelett mit zwei geopferten Pferden und Waffen gefunden wurde, gingen die Forscher automatisch von einem Kriegerfürsten aus, bis die nukleare DNA-Analyse keine Y-Chromosomen nachweisen konnte. Diese Entdeckungen stellten keine Ausnahmeerscheinung dar. Inzwischen ist bekannt, dass etwa die Hälfte der damaligen Großwildjäger auf allen Kontinenten weiblich waren.
Berittenes Bogenschießen – einst eine effektive Jagdart – ist heute ein Training, dass Geist, Körperbeherrschung und Tierverständnis gleichermaßen erfordert, das Sibylla Endres praktiziert. Beeindruckt sehen sich die Workshop-Teilnehmer*innen die Fotos von Sibylla als Bogenschützin auf dem Pferd an, darunter Frauen und Jugendliche aus der Ukraine, Deutschland, Afghanistan und der Region Sibirien. Da nicht alle gleich gut Deutsch sprechen, kam der Smart-Phone-Übersetzer ins Spiel und sorgte für Heiterkeit. Als Ina ihrem Bekannten berichten wollte, was sie am Wochenende vorhat, war dieser irritiert: „Ihr macht Zwieback? Das ganze Wochenende?“ Ina: „Ja und am Sonntag schießen wir auch damit.“
Bis zum fertigen Bogen wurde noch mehr gelacht und Wissen geteilt. Dass unsere Urahnen D-förmige Langbögen aus Ulmen- und Eibenholz herstellten, wusste eine Kursteilnehmerin. „Über die Eibe sagt man in meiner sibirischen Heimat auch – schau sie nicht an. Das Holz ist giftig, aber gut zum Bogenbauen“, erzählte Maria. Für Einsteigerinnen sei jedoch Rattan eine gute Alternative zum Vollholz, riet Gerhard Wiedemann zum palmartigen Gewächs, das aus langen gleichmäßig verlaufenden Fasern besteht und nicht aus Jahresringen. Rattan ist ein robustes wie biegsames Material, das schöne, schlichte und unverwüstliche Bögen mit guter Wurfleistung hergebe, ermunterte Bogenbau-Anleiter Martin Hering die Menschen, sich einen Rohling auszusuchen. Wie im Comic schienen Fragezeichen über den Köpfen aufzuploppen, als die Teilnehmer*innen ungläubig auf die dicken besenstielartigen Rattan-Stangen starrten, aus denen Sportgeräte werden sollten.