Was ist eigentlich Kinderarmut, wie wird sie definiert und welche Ursachen hat sie? Gibt es möglicherweise Missverständnisse über dieses so beschämende Thema und wie lässt es sich beseitigen? Am heutigen Montag hat die Bundesregierung nach langem Streit eine Kindergrundsicherung auf den Weg gebracht. Wir finden, das dafür zur Verfügung gestellte Geld reicht nicht aus, um Kinderarmut in Deutschland zu beseitigen.
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Vor fünf Jahren, am 30. August 2018 eröffnete das Büro KINDER(ar)MUT des AWO Bezirksverbandes Potsdam e.V. Das Netzwerk setzt zahlreiche Angebote in Potsdam in der täglichen Arbeit um, die den Auswirkungen von Armut entgegenwirken und direkt die Chancengleichheit von benachteiligten Kindern und Jugendlichen fördern.
Einen interessanten Beitrag zur Diskussion um Kinderarmut und Kindergrundsicherung hat Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), am Wochenende in der Wochenzeitung „Die Zeit“ geleistet. In der Kolumne benennt Fratzscher fünf Mythen zur Kinderarmut, die ein grundlegendes Missverständnis darstellen und die dringend ausgeräumt werden müssten:
Mythos 1:
Der Rückgang von Armut bei „ursprünglich deutschen Familien“ ist angeblich eine gute Entwicklung. Die diskutierten Zahlen zu Kinderarmut beruhen laut Fratzscher aber auf einer relativen Definition von Armut: Dabei gelten alle Menschen mit weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens als arm. Kommen nun Geflüchtete nach Deutschland, die noch weniger Einkommen haben, bedeutet das nicht, dass die Menschen nun einen höheren Lebensstandard haben, die zuvor schon als arm galten. Sie sind in der Einkommensverteilung der Gesellschaft nur nicht mehr ganz unten.
Mythos 2
Armut bedeutet nicht nur ein geringes Einkommen, sondern konkret eine geringe soziale, politische und wirtschaftliche Teilhabe. Dies führt zu schlechteren Bildungschancen. Kinderarmut bedeutet daher so viel mehr als geringes Einkommen. Sie nimmt vielen jungen Menschen die Zukunftsperspektive.
Mythos 3
Der dritte Mythos ist die Behauptung, der Staat könne sich eine Kindergrundsicherung zur Bekämpfung von Kinderarmut finanziell nicht leisten. Das Gegenteil trifft zu: Staat und Gesellschaft können es sich nicht leisten, die riesigen Kosten der Kinderarmut zu stemmen und auf alle Menschen umzulegen. Die OECD schätzt die jährlichen Kosten der Kinderarmut in Deutschland auf mehr als 100 Milliarden Euro. Eine auskömmliche Kindergrundsicherung, die die Kinderarmut zu einem großen Teil beseitigen würde, würde etwas mehr als 20 Milliarden Euro kosten
Mythos 4
Die Migration und Zuwanderung von Geflüchteten ist verantwortlich für den Anstieg von Kinderarmut. Fratzscher führt aus, dass es für einen Staat und eine Gesellschaft moralisch, sozial und wirtschaftlich ohnehin völlig irrelevant sein sollte, welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion ein Kind hat. Vielen Geflüchteten bleibe wegen fehlender Anerkennung von Qualifikation oder eine langsamen und bürokratischen Genehmigung zur Arbeit gar nichts anderes übrig als von staatlichen Geldern zu leben. „Wer sagt, dass Geflüchtete und andere Migrantinnen und Migranten in Deutschland in Armut landen müssen? Dieses Beispiel zeigt, dass die Hauptursache für Armut eben meist nicht bei den betroffenen Menschen, sondern in den Lebensumständen und dem Versagen des Staates liegen“, so Fratzscher.
Mythos 5
Armut lasse sich am besten durch Arbeit der Eltern und Bildung lösen (Zitat Finanzminister Christian Lindner, FDP). Dazu Fratzscher: „Die Verbesserung von Arbeitsmarkt- und Bildungschancen können aber niemals ausreichende Hilfen und eine Kindergrundsicherung ersetzen. Denn Kinderarmut verursacht hier und heute einen permanenten Schaden für die Betroffenen. Und der lässt sich eben nicht durch die potentielle Chance auf Arbeit und ein besseres Einkommen in zwei oder fünf Jahren vermeiden. Mit jedem Monat in Armut steigt der Schaden für die Betroffenen und die Gesellschaft.“
Für Marcel Fratzscher ist es falsch und kontraproduktiv, Kinderarmut durch eine „verstärkte Zuwanderung oder durch Versprechen besserer Bildungs- und Arbeitsmarktchancen zu relativieren“. Armut bedeute eine fehlende Teilhabe und verursache gerade bei Kindern und Jugendlichen einen permanenten, lebenslangen Schaden in Bezug auf Chancen, Lebenszufriedenheit und Gesundheit (Schulgesundheitsfachkräfte).
Deutlicher kann man es nicht sagen. Kleinreden hilft da nicht. Wir beobachten die Form der „Armutskarrieren“ in unserer täglichen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien. Ein Ausstieg aus dieser Spirale ist nur möglich, wenn alle Kinder die gleichen Startbedingungen und damit die gleichen Bildungschancen, unabhängig von ihrem Elternhaus, bekommen.
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