Wie kann die zunehmende Armut in Deutschland bekämpft werden, bezahlbarer Wohnraum für alle geschaffen werden und was muss sich ändern, damit Geflüchtete schnell integriert werden können? Drei große Themen aus unserem Programm „1 plus 9 – ein Ziel, neun Forderungen für eine sozial gerechte Gesellschaft“ standen am gestrigen Mittwoch im Mittelpunkt des „Fachgesprächs im Fischglas“ zu den Bundestagswahlen am 23. Februar. Rund 50 Zuhörer und Fachkräfte der sozialen Arbeit diskutierten mit Direktkandidat*innen zu drei der neun Forderungen im Spenden- und Tauschladen „Schatztruhe“ des AWO Bezirksverband Potsdam e.V.
Zu Beginn nannten Angela Schweers und André Saborowski vom Vorstand der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt sowie Katja Fisch, Referentin der Gemeinsamen Landesarbeitsgemeinschaft (AWO LAG) der Arbeiterwohlfahrt in Brandenburg kurz die Forderungen, die Ergebnis unserer täglichen Arbeit als Wohlfahrtsverband sind. So setze sich der Bezirksverband in der Volksinitiative „Schule satt!“ für ein kostenloses Essen an Schulen und Kitas ein. „Kinder haben kein Geld, weil ihre Eltern kein Geld haben“, sagte Saborowski. Es dürfe nicht sein, dass Kinder hungern. Auch müsse die kommende Bundesregierung dringend die Kindergrundsicherung einführen – eine Forderung die leider auch in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht umgesetzt worden sei.
Vorstandsvorsitzende Angela Schweers kritisierte, dass in der öffentlichen Diskussion zunehmend falsche Begriffe genutzt würden. So sei die soziale Arbeit kein „Markt“, auf dem die Wohlfahrtsverbände aktiv seien. Auch dürften in der Kinder- und Jugendsozialarbeit keine unterschiedlichen Maßstäbe angewendet werden. „Geflüchtete Kinder sind Kinder und müssen genauso versorgt werden wie alle anderen“, betonte sie. Vor allem der seit Jahren angespannte Wohnungsmarkt belastet viele Familien zusätzlich. Katja Fisch, Referentin Wohnungsnotfallhilfe bei der AWO LAG, forderte deshalb unter anderem, die Bindung von sozialem Wohnraum zu verlängern statt sie in den freien Wohnungsmarkt zu geben und gleichzeitig gut ausfinanzierte Programme zur Wohnungsbauförderung neu aufzulegen.
An der Diskussion im moderierten Format „Fishbowl“, bei dem die Teilnehmer*innen jeweils nur zwei Minuten Zeit hatten, um ihre Meinung zu einem Thema zu benennen oder Fragen zu stellen, nahmen Sonja Eichwede (SPD), Isabelle Vandre (Die Linke), Gollaleh Ahmadi (Grüne) und Franziska Koch (Volt) teil. Zugesagt hatte auch Olaf Scholz (SPD) als Direktkandidat für den Potsdamer Wahlkreis 61. Der Bundeskanzler musste aber seine Teilnahme kurzfristig absagen.
Einigkeit bestand unter den Direktkandidat*innen darin, dass die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für die kommenden Bundesregierung besonders dringend ist und beispielsweise mehr gebaut oder die Wohngemeinnützigkeit gestärkt werden müsse. Beim Thema Asyl kritisierten die Teilnehmer*innen die „anhaltende Diskusverschiebung nach „Rechts“ durch falsche Begriffe und Ungenauigkeiten. So sei es ein Unterschied, ob man über Geflüchtete, Migrant*innen oder „Menschen mit Migrationshintergrund“ spreche, sagte die Grünen-Kandidatin für Berlin-Spandau, Ahmadi. Leider trügen einige politische Mandatsträger dazu durch ihre Wortwahl bei, sagte AWO Vorstandsvorsitzende Schweers.
Besonders interessant waren die Diskussionsbeiträge von Rosheng Cheikho und Imad Ossi, der mittlerweile eingebürgert wurde und am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam arbeitet. Beide waren vor Jahren vor dem Bürgerkrieg in Syrien nach Deutschland geflüchtet. „Die Sprüche in der Politik ändern auch die Gesellschaft“, sagte Ossi und fügte hinzu: „Keiner kann mich jetzt mehr abschieben. Die Musik spielt jetzt für mich in Deutschland“.