Vernichtung von Wohnraum führt zur Verdichtung von Armutslagen
Abriss trotz Wohnungsnotstand?
Vernichtung von Wohnraum führt zur Verdichtung von Armutslagen
180 Wohnungen, günstig zu haben, mitten in der Stadt, in bester Lage. In den vergangenen Jahren war der Staudenhof am Alten Markt in Potsdam eine beliebte Alternative zu den hochpreisigen Angeboten in der Landeshauptstadt. Vor allem für Alleinstehende oder Studierende war die Wohnanlage mit angeschlossenem Quartierstreff eine interessante Alternative, um zentral aber doch günstig zu leben. Jetzt ziehen voraussichtlich bald die letzten Mieter*innen aus dem in den 1970ern erbauten Gebäude aus.
Der Staudenhof ist ein Fall unter vielen, in denen aus diesen oder jenen Gründen Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden. Manchmal sind die Gründe auch einfach nur menschenunwürdig. Kurz vor Weihnachten 2021 erhielten auch die 100 Bewohner*innen der Josephinen-Wohnanlage in Potsdam die Kündigung ihrer Mietverträge. Die Begründung: Die Sanierung des seit längerem nicht mehr nutzbaren Speisesaals sei nicht absehbar. Die größtenteils älteren Bewohner*innen des Pflegeheims mussten sich andere Wohnungen oder Heime suchen.
An diesem Dienstagvormittag ist der Quartierstreff in der Wohnanlage Staudenhof noch einmal richtig mit Leben gefüllt. Schüler*innen aus dem Schlaatz haben sich dort eingefunden. Zusammen mit dem Lehrer werden Filme geschaut und darüber gesprochen, im Nachbarraum üben sich die Jugendlichen im Tischtennis. Ein schöner Wintertag im hellen Sonnenlicht. Eine Tür weiter sitzt der Concierge der Wohnanlage an seinem Schreibtisch, hilft Geflüchteten beim Übersetzen von Behördentexten und sucht nach seiner Tochter. Gegenüber eine meterlange Wand mit schmuddeligen Briefkästen – hier hat sich schon lange nichts mehr getan. Sprechen möchte der Concierge nicht darüber, was hier wohl in Kürze passiert. Bis vor einigen Monaten war der Staudenhof ein belebter Ort, hier lebten Menschen, trafen sich, tauschten sich aus, halfen sich untereinander. Die meisten suchten sich aufgrund der jahrelangen Diskussion über Abriss und Neubau oder Sanierung lieber rechtzeitig eine neue Bleibe und zogen aus. Vergleichbar günstige Mieten gibt es kaum noch in Potsdam – und wenn, dann in Stadtteilen, in denen der Anteil armer Menschen ohnehin überdurchschnittlich hoch ist wie dem Schlaatz oder Am Stern.
Nur noch vier Wohnungen sind aktuell tatsächlich belegt. Außerdem sind geflüchtete Menschen aus der Ukraine und Syrien hier untergebracht. Der Staudenhof am Alten Markt in Potsdams Stadtmitte wird aber leergezogen. Auch von den vier Bewohner*innen sind einige schon mit dem Umzug befasst. Es dauert also vermutlich nicht mehr lang, dann stehen alle Wohnungen in dem Gebäude leer – es soll anschließend abgerissen werden und ab 2027 einem Neubau weichen. Irgendwann. Denn noch steht nicht fest, wann die Bauarbeiten für das neue Wohngebäude beginnen sollen. Laut Medienberichten wurden bis Februar auch noch keine Förderanträge gestellt. Und einen Zeit- und Kostenplan gibt es auch noch nicht. Bis die versprochenen neuen Wohnungen also bezugsbereit sind, kann es noch dauern.
Die Segregation - also die Konzentration bestimmter sozialer, kultureller und ethnischer Gruppen auf bestimmte Stadtteile – nimmt auch in Potsdam seit Jahren zu. Die früheren Bewohner*innen aus dem Staudenhof verlieren nach einem Umzug Bindungen und Netzwerke, die jahrelang Halt gegeben haben und wichtig waren. Diese im neuen Stadtteil aufzubauen, ist schwer und mühsam. „Alles, was zu einer beschleunigten Segregation führt, muss vermieden werden. Dazu gehört auch, den Staudenhof als Wohnquartier in der Potsdamer Stadtmitte zu erhalten und zu sanieren“, sagte Angela Schweers, Vorstandsvorsitzende des AWO Bezirksverbandes Potsdam e.V. Es sei unverantwortlich, jetzt auf die 180 Wohnungen zu verzichten und vielleicht in einigen Jahren neue errichten zu wollen. „Wir brauchen Wohnraum jetzt und nicht erst in ein paar Jahren. Und auch Menschen mit wenig Geld müssen ihn sich leisten können.“