Artikel vom 15.03.2023
Kostenloses gesundes Frühstück zur Armutsprävention ist das Ziel
Bezug nehmend auf den Online-Artikel „Frühstück für bedürftige Kinder“ in den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ vom 14.03.2023 möchten wir noch einmal unsere Sichtweise auf unser Projekt „Spirellibande“ darstellen – erschienen in der AWO-Zeitung „Mit Herz und Hand“ (Ausgabe 1/2018).
„Künftig stellen Caterer an 14 Potsdamer Schulen für rund 750 Schüler ein kostenloses Frühstück zur Verfügung“, erklärte die Bildungsbeigeordnete Noosha Aubel in der Stadtverordnetenversammlung Anfang März und stellte ein entsprechendes von der Verwaltung erarbeitetes Konzept vor. Damit entfalle das von der AWO Potsdam über zehn Jahre geführte Projekt „Spirellibande“. Eine „pragmatische“ Entscheidung, so Aubel. Die Mehrheit der Stadtverordneten indes – allen voran die LINKE-Fraktion – wollten das Konzept wegen der fehlenden sozialarbeiterischen Komponente nicht hinnehmen und verwiesen den Verwaltungsvorschlag in Bildungs- und Sozialausschuss.
Dort zeigte sich die Beigeordnete kompromissbereit und sagte, man wolle der Essenausgabe eine sozialpädagogische Begleitung zur Seite zu stellen. Damit seien die Unstimmigkeiten mit der „Spirellibande“ ausgeräumt, hoffte sie. „Das ist (dann) nicht mehr das Modell Spirellibande“, erkannte auch der Sozialbeigeordnete Mike Schubert.
Eine Bilanz der Entscheidungsprozesse aus Sicht des AWO Bezirksverbandes Potsdam e.V.:
AWO-Chefin Angela Schweers zum Potsdamer Aus für die Spirellibande
Zehn Jahre lang haben wir in Potsdam viel Kraft und Energie in ein kleines Projekt gesteckt, was Kindern zum Bildungserfolg verhelfen soll – die „Spirellibande“. Dies wurde möglich durch zahlreiche großzügige Spender, die von der Idee überzeugt waren. Wir bedanken uns bei jedem einzelnen Spender für die Unterstützung. Die ernüchternde Bilanz der vergangenen Tage: von einem ganzheitlichen Ansatz für die Kinder wurde das Projekt wegen angeblicher Hygieneprobleme runtergestuft zu einem Dienstleitungsauftrag für Caterer. Es ging uns um mehr als nur ein Frühstück für alle Kinder. Dies wurde von der Stadt Potsdam trotz der jahrelangen Zusammenarbeit und der Auszeichnungen für die Spirellibande (Ehrenamtspreis der Landeshauptstadt 2016) offensichtlich nicht als weiterführbar eingeschätzt.
Für uns stehen weiterhin drei Fragen im Vordergrund: Was wird gegen Kinderarmut unternommen? Welches Konzept hat die Stadt Potsdam, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen? Und vor allem: wie geht es jetzt weiter mit der Spirellibande?
Das kostenlose Schulfrühstück wird ab dem nächsten Jahr für zwei (!) Jahre an 14 Schulen durch die Stadt Potsdam finanziert. Das ist erst mal gut. Die Spirellibande hat den Bedarf öffentlich gemacht und eine Verstetigung durchgesetzt. Der Wermutstropfen bleibt die Qualität! Wir hoffen, dass die Schulen diese nicht berücksichtigte Seite in der Ausschreibung beachten und das Projekt, so wie es damals vor zehn Jahre konzipiert wurde, doch noch zu einem Erfolg führen.
Die sieben Schulen, an denen wir in den vergangenen Jahren mit der Spirellibande tätig waren, haben ein hohes Niveau des Angebotes erreicht und damit tatsächlich die Chancengleichheit für alle Kinder befördert. Und nur das war unser Ziel, dass wir mit einem gemeinsamen Frühstück an der Schule erreichen. Denn ohne Energie sind die Kinder nicht aufnahmefähig für den täglichen Unterricht.
Unsere vielen Ehrenamtlichen und unsere Angestellten sind natürlich zufrieden, dass der Bedarf ihrer Arbeit erkannt wurde, aber der Abschied von den Kindern
und den Lehrern und Lehrerinnen fällt trotzdem sehr schwer. Es beginnt zumindest für Potsdam die Zeit des Abschieds. Wir danken allen für ihren großen Einsatz und das Engagement für eine Arbeit, die den Kindern diente.Und zugleich beginnt die Zeit des Neuanfangs im Potsdamer Umland. Die Spirellibande macht weiter. Im Havelland sind wir schon mit dem Ketschup-Klub und die Anfragen aus Mittelmärkischen Schulen können nun bedient werden.
Für Potsdam wird die Spirellibande jetzt die Bildungspatenschaften aufbauen und die Chancengleichheit in einem weiteren Aspekt bereichern – bis zur Institutionalisierung – aber bestimmt nicht über Catering. Wir machen weiter! Nicht für uns, für die Kinder!
Wie es dazu kam
Am 23. Februar 2018 sprach Christina Wieda von der Bertelsmann Stiftung zur Bekämpfung von Kinderarmut auf dem Fachtag „Chancengerechtigkeit für alle Kinder in Potsdam“. Ihr Fazit: Um Kinderarmut nachhaltig zu begegnen, braucht es nachhaltige Beziehungsarbeit – und das kostet Geld. Aber am Ende zahlt die
Gesellschaft viel weniger, denn nur über diese Fürsorge, Hingabe und Beziehungsarbeit kann man Kinder und Erwachsene in einem kapitalistischen Gesellschaftssystem mitnehmen, die zurückgelassen werden. Dem können wir nur zustimmen. Diese zwei wichtigen Grundlagen – Beziehungsarbeit und Nachhaltigkeit – sind immer Bestandteil der Spirellibande.
Nur einen Tag später, am Samstag den 24. Februar 2018, wird durch einen Bericht in den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ deutlich, dass die Stadtverwaltung eine pragmatische Lösung für die Thematik „Essen“ bevorzugt, wie sich der Sozialbeigeordnete und SPD-Kandidat für die Nachfolge von Jann Jakobs als Oberbürgermeister von Potsdam, Mike Schubert, zitieren lässt. Eine Formulierung, die bei uns völliges Unverständnis auslöste. Und Noosha Aubel, Bildungsbeigeordnete in Potsdam, erklärte, dass Caterer oder Spirellibande für den Haushalt keinen Unterschied mache. Dieser Satz spricht für sich.
Die Entscheidung, privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen mit der Verpflegung der Schulen zu betrauen, wird begründet mit hygienischen Anforderungen. Seit Jahren hat aber die Spirellibande an den Schulen gut und einvernehmlich mit dem Hygieneamt zusammengearbeitet und immer Lösungen gefunden. Das ist also ein Scheinargument. Die tatsächlichen Gründe der Stadt, die vielfach gelobte Arbeit der Spirellibande zu beenden, bleiben leider im Verborgenen – oder es gibt sie vielleicht gar nicht?
Schon vor Jahrzehnten wurde der Fehler begangen, dass Küchen in Schulen und Kindergärten zurückgebaut wurden, es somit keine einrichtungsangehörigen Köche und Küchenhilfen mehr gab. Ab diesem Zeitpunkt übernahmen Catering-Unternehmen die Versorgung an Kindergärten und Schulen. Fehlt den Eltern aus welchen Gründen auch immer das Geld für das Frühstück, kommen die Kinder hungrig zur Schule, sind unkonzentriert und können dem Unterricht nicht folgen. Wenn eine Familie nicht die Essenspauschale bezahlt, ist das Kind raus und kann nicht mitessen. Eine Spirale nach unten beginnt für schlechte Lebenserfahrungen. Und diese Spirale muss durchbrochen werden.
Seit nunmehr 15 Jahren weist der AWO Bezirksverband Potsdam e.V. immer wieder auf das zentrale Thema Kinderarmut in Potsdam hin und initiierte viele Projekte zur Linderung der Situation. 2007 startete das Projekt Spirellibande. Es sollte keine hungrigen Kinder mehr im Unterricht geben. Begonnen hatte alles an einer Schule, derzeit wird das Projekt an sieben Schulen in der Landeshauptstadt umgesetzt.