In Potsdam, einer reichen Stadt, die sich gern mit dem Attribut „familienfreundliche Kommune“ schmückt, sind Kinder und Jugendliche hungrig. Und genau diese Kinder und Jugendlichen sowie deren Familien – besonders in Armutslagen – haben kaum eine Lobby und auch nicht die politischen Hebel, um Politik zum SCHNELLEN Umdenken und Handeln zu bewegen.
Deutlich sichtbar wird die zunehmende Ernährungsarmut von Kindern und Jugendlichen im Potsdamer Stadtteil Am Schlaatz. Hier zeigt sie sich massiv. Dies schließt jedoch ein, dass das Thema auch in anderen Stadtteilen akut ist und dessen Brisanz potsdamweit steigt.
Aber nun zum Stadtteil Am Schlaatz – am Beispiel der dortigen Weidenhof-Grundschule und der Gesamtschule Am Schilfhof:
Die Weidenhof-Grundschule besuchen 422 Kinder und an der Gesamtschule Am Schilfhof sind es 713 Jugendliche, die dort lernen und einen Großteil ihres Tages verbringen.
Zur Mittagszeit wird durch einen Caterer ein Mittagessen für die Schüler*innen angeboten. Doch die Anzahl derjenigen Kinder und Jugendlichen, die das Mittagsangebot nutzen, ist gering: an der Weidenhof-Grundschule nimmt nur gut die Hälfte der Kinder an der Mittagsversorgung teil. Besonders bei den älteren Kindern, die nicht in den Hort gehen, ist die Zahl der Mittag Essenden gering. An der Gesamtschule Am Schilfhof sind es nur etwa 1/10 der Jugendlichen, die eine Mittagsmahlzeit zu sich nehmen.
Die Nicht-Teilnahme der Kinder und Jugendlichen an der Mittagsversorgung ist angesichts der dafür geforderten Preise von 5,51 € pro Portion für die Grundschüler*innen und sogar 6,23 € für die Schüler*innen der weiterführenden Schule nicht verwunderlich: Welche Familie können sich diese Preise noch leisten?! Es ist nicht nachvollziehbar, dass die beiden Schulen Am Schlaatz die höchsten Mittagessenpreise in Potsdam haben. Zudem sind die baulichen Gegebenheiten der dortigen Schulmensen nicht darauf ausgerichtet, dass alle Kinder der Schule gut essen können. Doch die baulichen Situationen und Mängel dürfen kein Hindernisgrund sein, um die Essensversorgung für alle Kinder und Jugendlichen der Schulen zu gewährleisten.
Die beschriebene Situation ist nicht nur dramatisch – sondern auch gefährlich. Denn immer mehr Lehrer*innen und Schulsozialarbeiter*innen berichten von hungrigen Kindern. Ihre Anzahl hat sich in den letzten Monaten nochmals auffallend erhöht, nachdem diese Situation bereits seit der Corona-Pandemie deutlich wahrnehmbar war.
Die Sozialarbeiter*innen, die am Schlaatz im Freizeit– und Nachmittagsbereich tätig sind (Kinder- und Jugendclubs), bestätigen, dass vermehrt Kinder und Jugendliche bis in die Nachmittagsstunden nichts gegessen haben. Und hier beißt sich noch zusätzlich die Katze in den Schwanz, denn die Kinder- und Jugendclubs haben kein Budget für eine Essensversorgung. Hinzu kommt, dass die pädagogischen Sachkosten der Freizeiteinrichtungen seit mehr als 10 Jahren durch die Stadt im Budget nicht erhöht wurden, trotz aller Preissteigerungen. Die Sozialarbeiter*innen in den Kinder-, Jugend- und Familienclubs sehen sich dazu gezwungen, ihr eh schon geringes Budget dafür aufzuwenden, dem Hunger der Kinder und Jugendlichen Abhilfe zu schaffen. Denn ein*e Jugendsozialarbeiter*in kann nicht mit Jugendlichen arbeiten, die hungrig sind – dafür muss zu allererst der Hunger als Grundbedürfnis gestillt und damit die Voraussetzung für gesundes Aufwachsen geschaffen werden.
Und was passiert mit all den hungrigen Kindern und Jugendlichen, die bei keinem Kinder- oder Jugendclub angedockt sind?
Bei der Schulverpflegung hat sich die Stadt Potsdam schon vor Jahren verkalkuliert. Schon oft haben soziale Träger und Verbände, Einzelkämpfer und auch der*die ein oder andere Politiker*in die kostenlose Schulverpflegung in Potsdam gefordert. Doch nichts geschah.
Auch Bemühungen zur Vereinfachung der Umsetzung der Bildungs- und Teilhabeleistungen als niedrigschwelliges Angebot für alle Familien im Leistungsbezug, um unbürokratischer an ein kostenloses Mittagessen für die Kinder zu kommen, wurden bisher nicht ernst genommen. Schon im Februar 2021 gab es einen Beschlussvorschlag von den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE mit dem Ziel eine Bildungskarte für Potsdamer Kinder zu beschließen. Dies wurde von Seiten der Stadtverwaltung nicht weiterverfolgt.