Bundesweiter Fachtag in Potsdam zeigt viele Handlungsoptionen auf
Wohnungslosigkeit ist kein Schicksal
Bundesweiter Fachtag in Potsdam zeigt viele Handlungsoptionen auf
Unter dem Motto „Wohnungslos – ein Schicksal?“ veranstaltete der AWO Bezirksverband Potsdam e.V. mit Unterstützung der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) am Dienstag einen bundesweiten Fachtag zum Thema Wohnungsnotfallhilfe. Mehr als 80 Gäste waren in den Tagungssaal der ILB nach Potsdam gekommen, eröffnet wurde der Fachtag von Bundesbauministerin Klara Geywitz. „Wohnungslosigkeit ist kein Fakt und nichts, was wir hinnehmen“, sagte Geywitz zu Beginn der Tagung. Erklärtes Ziel der Bundesregierung sei es daher, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Dazu wird ein Nationaler Aktionsplan erarbeitet.
Weitere Referenten waren Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge, die Anthropologin Dr. Luisa Schneider und Prof. Dr. Volker Busch-Geertsema. In den Vorträgen wurden zahlreiche Ansätze erläutert, wie die Situation von wohnungslosen Menschen dauerhaft verbessert und möglichst schnell die Wohnungslosigkeit beendet werden kann. Hartmut Nölling von der Selbstvertretung der Wohnungslosen verwies darauf, dass es ein Recht auf Privatsphäre geben müsse, Notunterkünfte mit vielen Personen in einem Raum seien unzumutbar. Luisa Schneider, die aus den Niederlanden per Videokonferenz zugeschaltet war, stimmte dieser Forderung zu.
Notunterkünfte seien zudem meist nach Geschlechtern getrennt, so dass Paare lieber auf der Straße lebten. Auch Haustiere seien dort nicht erlaubt. „Das sind aber meist die einzigen Freunde und Beschützer“. Schneider ergänzte, dass eine Wohnung nicht die Gemeinschaft ersetze. Viele ehemalige Wohnungslose seien nach dem Einzug plötzlich allein, würden die frühere Gruppe vermissen und zu ihr zurückkehren. Auch werde häufig nicht auf Segregation geachtet und ehemals wohnungslosen Menschen eine frei gewordene Wohnung in immer denselben Straßen oder Blöcken angeboten. Als Beispiel nannte sie Leipzig.
Prof. Dr. Busch-Geertsema sieht in dem Konzept Housing First einen innovativen Ansatz, um wohnungslose Menschen mit komplexen Problemlagen in reguläre Wohnverhältnisse zu bringen. Derzeit gebe es zwar in vielen Städten einzelne Projekte, ein flächendeckendes Angebot gebe es aber noch nicht. Wichtig sei dabei die regelmäßige Begleitung der Menschen durch Besuche und Gespräche in ihren Wohnungen.
Einen breiteren Ansatz wählte Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, der bis vor wenigen Jahren an der Universität Köln zum Thema Armut und Ungleichheit forschte. Gerade die ungleiche Vermögensverteilung sei ein Grund für die hohe Zahl an wohnungslosen Menschen. Die aus seiner Sicht neoliberale Politik der vergangenen Jahrzehnte habe viele der aktuellen gesellschaftlichen und sozialen Probleme verursacht. „Es vertieft sich die Kluft zwischen arm und reich gerade auch durch das, was aktuell im Wohnsektor passiert“, sagte Butterwegge.
Die vielen Diskussionen und Ansätze, um die Wohnungslosigkeit mittelfristig abzuschaffen, werden wir in den kommenden Wochen in einer Dokumentation zusammentragen und veröffentlichen sowie den Austausch mit Politik und den Selbstvertretungen der wohnungslosen Menschen fortsetzen.